Die Piratenpartei, der Feminismus und das Messias-Problem

Niemand hätte erwartet, dass eine Partei mit einem so pittoresken Namen binnen fünf Jahren in den deutschen Parlamenten sitzen würde. Das bedeutet wohl, dass der entsprechende Bedarf vorhanden war, nachdem sowohl Grüne als auch Linke als progressive Hoffnungsträger versagt hatten.

Die Piraten werden von der Hoffnung des vorwärtsblickenden Milieus beflügelt, und von der Enttäuschung über die mangelnde Verteidigungsfähigkeit unseres parlamentarischen Systems gegen Lobby-Einflüsse. Letzteres ist übrigens keine klassisch linke Position, sondern findet sich auch im wertkonservativen Bezugssystem wieder und bildet heute die Grundlage für die sozialliberale Strömung innerhalb der Piratenpartei.

Kein Jesus Christus, für niemand

Aus Enttäuschung geborene Hoffnung allerdings führt zum Problem der umfassenden Erwartung. Oder der quasi-messianischen Heilserwartung: Endlich soll jemand kommen und dafür sorgen, dass alles gut wird. Aber schon die Grundstruktur der Piraten steht dem entgegen: Die neue Partei versteht sich als Instrument zur politischen Gestaltung durch den Bürger. Wer also etwas ändern, voranbringen will, soll die vorhandene Parteistruktur dazu nutzen. Aktiv werden. Und nicht nur die Erwartung äussern, jemand solle etwas tun.

Männer, Frauen, Computer

 Sehr konkret wird dieser Gegensatz am real existierenden Gesellschaftsproblem der nicht verwirklichten Gleichstellung. Gerade Deutschland, so versichern uns internationale Vergleiche, ist ein ausgesprochen frauenfeindliches Industrieland. Eines, das stärker vom Patriarchat bestimmt wird als alle anderen, mit Ausnahme von Japan und Korea. Auch hier haben die ehemals progressiven Hoffnungsträger versagt; sowohl die Grünen als auch die Linken, und statt einem womöglich verlustreichen und blutigen Kampf gegen das Maskulinat Scheinerfolge wie Binnen-I und Frauenquoten in Parteigremien akzeptiert. Ich spreche hier von Scheinerfolgen, weil beides nichts an der real existierenden Ungleichheit ändert. Trotzdem werden solche Äusserlichkeiten gerne als Marksteine gesellschaftlichen Fortschritts missverstanden; sonst würden Feministinnen nicht die Einführung von Quoten und Sprachregelung von den Piraten fordern; und die Nichterfüllung dieser Forderungen als Maskulinismus werten. Was aber leider falsch ist. Wir werden den Kampf um Gleichstellung von Geschlechtern und Milieus nicht dadurch gewinnen, dass wir uns selber Beschränkungen auferlegen – ausser natürlich der Beschränkung, andere nicht zu beschränken, zum Beispiel aus Gründen des Geschlechtsunterschieds.

Die schmerzhaften Massnahmen

Was wir erzielen müssen, ist ein Verbot unterschiedlicher Bezahlung für die gleiche Arbeit, ist das Bereitstellen kostenloser Kinderbetreuung, die Einführung einer Ganztagsschule (auch wenn dadurch die Nachhilfeindustrie zusammenbricht) und die Einführung einer hohen Zusatz-Abgabe für Unternehmen (und Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung), die ihre Führungsgremien nicht gleichmässig mit beiden Geschlechtern besetzen. Und wir müssen akzeptieren, dass wir mit Sprachregelungen allein zwar die Illusion einer heilen Welt erzeugen können, nicht aber gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen. Für die Piratenpartei bedeutet das die Herausforderung, noch offensiver feministische Ziele (“Gleichstellung”) zu verfolgen, ohne sich vom scheinbaren Widerspruch der nichterfüllten äusserlichen Anforderungen und den daraus resultierenden Angriffen wegen vermeintlicher Frauenfeindlichkeit beirren zu lassen. Diese Messias-Geschichte war schon immer eine Illusion. Und ein Hindernis auf dem Weg zu gesellschaftlichem Fortschritt.

Pic: Natürlich gibt es, am anderen Ende der Genderdebatte, bereits Filme, die das Spannungsverhältnis von Frauen und Piraten auf völlig andere Weise thematisieren. Aber das nur der Vollständigkeit halber.


Kommentare

8 Kommentare zu Die Piratenpartei, der Feminismus und das Messias-Problem

  1. Frank M schrieb am

    Heyho,
    praktische politische Arbeit und die Arbeit in der politischen Bildung: alle wollen was, aber keiner kann’s wirklich kommunizieren. Wenn Du an den Bildungsstätten Medienkompetenz und praktische Politik vermitteln willst, hauen sie dir auf die Finger: könnte ja parteipolitisch angesteckt sein. So werden’s pure Politikkonsumenten die sich mit jeder Drecksfrage an dich wenden. Dann kommen Vorurteile hinzu und wenn Du in Anfragen erstickt bist, heißt es, „jaja, die sind ja auch nicht besser“.

    Die Gleichstellungsthematik zählt dazu wie jedes andere Thema, um das sich Parteien trotz verfassungsrechtlichem Auftrag (Meinungsbildung mitwirken) wg. Personalmangels gar nicht mehr kümmern können.
    Problem erkennen.
    Erkenntnisweg gehen, wie man’s angeht.
    Mittel kennen, wir man die Erkenntnisse in Ergebnisse umsetzt.

    Stattdessen haben wir Politikkonsumenten die Bildphrasen zitieren.

    Grüße

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