„Oberbayerisch-Schwäbische Barock- und KZ-Landschaften“ zum Photoalbum
war der Titel einer Fahrradtour, die am „Stauffenbergtag“ auf Initiative von Gerald Roith, eines regen Mitglieds des ADFC Kaufbeuren und unter der fachkundigen Begleitung von Herrn Anton Posset aus Landsberg am Lech statt fand.
Auf diesem Weg gelang eine deutlich andere Art des Gedenkens an den groß gefeierten Tag des „deutschen Widerstands“ gegen das Naziregime vor 70 Jahren.
Mit von der Partie war die Piratenpartei in Form des Augsburger Piraten Andreas Schürger und des Bezirksvorsitzenden Thomas Blechschmidt aus Buchloe.
Am frühen Morgen des 20. Juli 2014 trafen sich also 11 Radfahrer am Kaufbeurer Bahnhof und starteten gegen 8 Uhr in Richtung Landsberg am Lech. Vor den Toren der Münchner Schwesterstadt, kurz hinter dem Dorf Erpfting, erwartete die Radler bereits Herr Anton Posset. Der frühere Landsberger Gymnasiallehrer stammt aus München und ist seit 30 Jahren in seiner Wahlheimat Landsberg am Lech der wohl bekannteste, leidenschaftlichste und und für viele unbequemste Bewahrer der Erinnerung an eine Zeit, die sehr viele am liebsten vergessen würden.
Einen Großteil seines Lebens hat er in den Dienst der Erinnerung an die Geschehnisse in und um Landsberg und Kaufering während der NS-Zeit gestellt. Dabei stehen seine Kenntnisse der Zeit nicht alleine für sich, sondern sind eingebettet in ein breit gefächertes Wissen um Land, Leute und Geschichte der Gegend. Nicht ganz von ungefähr passt das zu seiner früheren Tätigkeit als Lehrer für Geschichte und Deutsch am Landsberger Dominikus-Zimmermann-Gymnasium.
So führte Herr Posset die Gruppe zu Beginn des informativen Teils der Tour in die Eichkapelle bei Erpfting, in der er die hervorragende Arbeit des Rokoko-Malers Johannes Baptist Bader („Lechhansl“) aus Mundraching präsentierte und passenderWeise einen Bezug des Deckengemäldes zum aktuellen Gedenktag herstellte. Das Gemälde zeigt die Szene der Judith, die das Haupt des Tyrannen Holofernes der Öffentlichkeit zeigt, nachdem sie es diesem abgeschlagen hatte. Symbolisch dafür, dass eine Tyrannei erst dadurch besiegt wird, dass man ihr das Haupt abschlägt und den Tyrannen tötet. Eine Mahnung, warum das Attentat des Grafen Stauffenberg rein faktisch scheitern musste: Der Attentäter hat es zwar gewagt, seine akute, kreatürliche Angst zu besiegen, doch er hat es versäumt, den Tod des Diktators sicherzustellen. Bei allem Mut, den er bewiesen hat, so ist Stauffenberg an dieser Stelle kurz vor dem Erfolg an sich selbst gescheitert.
Nach dem auf diese Weise hoch interessanten Besuch des kirchlichen Kleinods wurde die Tour mit dem Besuch eines in unmittelbarer Nähe liegenden Friedhofs des KZ-Ausenlagers Kaufering VII fortgesetzt.
Anschließend ging es weiter zur Holocaust Gedenkstätte, der „Bürgervereinigung Landsberg im 20 Jhdt. e. V.“ auf dem Gelände des ehemaligen Lagers VII, auf dem einige gut erhaltene Häftlingsunterkünfte zu besichtigen sind. Dort erhielten die Teilnehmer Dank der Schilderungen von Herrn Posset einen sehr lebendigen Eindruck der Herausforderungen und Geschehnisse der damaligen Zeit erhielten. Herr Posset versteht es, sehr anschaulich zu berichten und verfügt durch seine dreißigjährige historische Forschung und die über die lange Zeit große Zahl an Gesprächen mit Zeitzeugen über ein bemerkenswertes, authentisches Wissen über diesen Teil der Vergangenheit. Darüber berichtet er mit Leidenschaft und gleichzeitig mit einer Sachlichkeit, die der Zuhörer nicht unbedingt erwartet.
Die weitere Fahrt ging über einen weiteren Standort eines KZ-Außenlagers bei Landsberg und erreichte dann Kaufering, wo sich die Gruppe im Gasthaus zur Brücke stärkte. Bei den hochsommerlichen Temperaturen war es auch dringend nötig, auf ausreichend Flüssigkeit und Verpflegung zu achten. Im Anschluss wurde eine kleine, unscheinbare Gedenkstätte am Gleisdreieck Kaufering Ost aufgesucht, der kleine Rest des Aussenlagers III, das nach dem Krieg zunächst sudetendeutsche Flüchtlinge nutzten und das später zu einer Schrebergartenkolonie umfunktioniert wurde. In Zuge dieser Umnutzung wurden die Überreste der Lagerbauten natürlich entsorgt.
Anschließend ging es durch Kaufering hindurch weiter nach Norden zu den Aussiedlerhöfen der „Kolonie Hurlach“, die allerdings inzwischen bereits direkt an das nördlichste Baugebiet der Gemeinde Kaufering angrenzen. Dort gibt es nicht mehr viel zu sehen. Die Reste des dortigen Außenlagers IV wurden durch eine Kiesabbaugenehmigung dem Abbruch durch das lizenzierte Unternehmen überlassen und größtenteils vergraben. Ja, die Vergangenheit wurde buchstäblich „begraben“. Etliche Gebeine der Ermordeten kamen bei den Baggerarbeiten zum Vorschein, da man offenbar vermutet hatte, alle Toten wären auf dem dortigen KZ-Friedhof bestattet worden. Dem einzigen KZ-Friedhof überhaupt, der sich direkt auf dem Gelände eines Lagers befand – einzigartig im gesamten Terrorgebiet des Nationalsozialismus.
Ein Teil dieses ehemaligen KZ-Geländes ist heute landwirtschaftliche Nutzfläche. Die dort einstmals vorhandenen Bauten wurden gegen Ende des Kriegs mit Treibstoff getränkt und absichtlich in Brand gesteckt. Mitsamt den darin befindlichen Häftlingen, Lebenden wie Toten. Überreste des Brandes werden beim Pflügen immer noch sichtbar. Den westlichsten Teil dieses Geländes durchschneiden die Bahnlinie Augsburg-Kaufering, über die damals Häftlinge an-und abtransportiert wurden, und seit einigen Jahren die B17 neu als vierspurig ausgebaute Schnellstraße in Tieferlegung. Beim Bau dieser Straße vor wenigen Jahren wurden etliche Knochenreste und andere Relikte der Zeit gefunden.
Anschließend führte die Tour über Igling nach Holzhausen in den dortigen Biergarten. Nach einem weiteren Getränk verabschiedete die mittlerweile auf vier Teilnehmer geschrumpfte Gruppe sich von Anton Posset und machte sich auf den Rückweg nach Kaufbeuren, wo sie gegen 21:30 Uhr nach insgesamt 85 km Radstrecke ankam.
Übrig bleiben frisches Wissen, und für den ein oder anderen Teilnehmer Antworten, wo vorher noch nicht einmal Fragen waren.
Die Erkenntnis, dass geschriebene oder per Telemedien aufbereitete Geschichte doch etwas völlig Anderes ist, als das, was man vor Ort erfahren kann, und natürlich ein paar neue Fragen.
Wer weiß schon, dass in und um den damals bedeutenden Bahnhof Kaufering herum das KZ Kaufering als Außenlager des KZ-Dachau errichtet wurde? Dass es aus 11 Außenlagern bestand und dass ca. 15.000 der ungefähr 30.000 Toten des KZ Dachau in den Kauferinger Außenlagern inhaftiert waren? Wer weiß, dass als Spitze des Zynismus die Häftlinge, die zum großen Teil aus Auschwitz nach Kaufering geschickt wurden, wieder zurück nach Auschwitz transportiert und vergast wurden, wenn sich ihre Arbeitskraft erschöpft hatte? Wer weiß, dass die Ausstattung innerhalb dieser Lager offensichtlich nicht nur für einen vorübergehenden Einsatz, sondern sehr langfristig geplant waren? Dass es zum Beispiel innerhalb des Lager VII ein Badehaus mit fließend heißem Wasser vorhanden war, etwas, was die Bewohner der umliegenden Dörfer vermutlich nicht hatten. Wer weiß, dass Frauen in diesen Lagern bedeutend besser untergebracht waren und behandelt wurden als Männer?
Denkt man darüber nach, mutet es nicht vollkommen schizophren an, Menschen auf Grund Ihrer Religion und mutmaßlichen Abstammung als nicht als lebenswertes Leben zu betrachten, sie deshalb planmäßig auslöschen zu wollen, aber andererseits die gelernten gesellschaftlichen Konventionen auf die verschiedenen Geschlechter anzuwenden? Wie verrückt ist das eigentlich? Oder einerseits die bewusste Absicht zu haben, diese Menschen durch Arbeit zu vernichten, andererseits ein Desinfektionshaus einzurichten, um ihren vorzeitigen Tod durch Typhus zu verhindern, dessen Erreger durch die omnipräsenten Myriaden von Läusen übertragen wurde?
Einer der Zeitzeugen – ein Opfer – kommentierte das mit den Worten: „Die Läuse interessieren sich nicht für Rassenunterschiede und Rassengesetze…“
Am Ende bleiben zwei Fragen:
Welchen Sinn hat es, den Versuch zu unternehmen, diesen Teil Geschichte begraben zu wollen?
Die Erinnerung daran wird so oder so die vom maßgeblich treibenden Anstifter der Ereignisse prophezeiten Tausend Jahre überleben. Wahrscheinlich noch viel länger.
Haben Adolph Hitler und seine Spießgesellen nicht am Ende doch noch gewonnen, wenn wir darauf verzichten, diesen Teil der Geschichte erlebbar und begreifbar zu machen?