Postmortem: Niedersachsen

Auf dem durchpflügten Acker

Es war also Landtagswahl, und nur die Hälfte ging hin. Oder knapp darüber. Überraschung: Die ganz leicht weniger schlimme Kombi Rot-Grün setzte sich durch. Noch ne Überraschung: Die Alternativangebote Linkspartei und Piraten wurden kaum nachgefragt. Ist irgendwas Schlimmes? Wars das mit den Hoffnungsträgern der Gen Y? Soweit ich, zwei Tage nach der Schicksalwahl im nördliche Flachland, sehen kann, gibts die Piratenpartei noch, sie arbeitet in vier Landesparlamenten und einem Sack voller Kommunen gegen Korruption und Intransparenz an, und flotte Telekolleg-Lektionen für zukünftige Wahlsiege hat sie auch noch mitbekommen. Oder wie war das, hat jemals in der Geschichte der Menschheit irgendjemand was aus Erfolgen gelernt? Hier sind ein paar Tipps, die jemand für uns in die harte Schulbank des Lebens geritzt hat. Anders gesagt: Sieben Thesen für die Zeit nach #ltwnds.

1. Es ist schwierig, in ein Landesparlament einzuziehen, wenn man nicht genug Kandidaten hat. Hier müssen die Piraten noch stärker gegen die Politikverdrossenheit und für Bürgerpartizipation kämpfen, selbst wenn sie dabei von niemandem unterstützt werden.

2. Die philosophisch zutreffende Darstellung der Allgemeingültigkeit von Ideen darf das bereits stattfindende Bearbeiten von Problemen und Gefahren nicht überdecken. Tatsächlich leisten die Piraten in anderen Parlamenten bereits das, was sie versprocheh haben. Man muss es nur immer wieder sagen, gerade in einem Wahlkampf.

3. Es hat keinen Sinn, grüner als die Grünen, gelber als die mythische Alt-FDP oder roter als die Linke sein zu wollen. Das wird auch kein Vollprogramm. Statt dessen haben die Piraten Alleinstellungsthemen, die ja eigentlich signifikante Teile der Bevölkerung ansprechen (so 7-9 %). Oder wer sonst kümmert sich um die massiven Probleme des grössten Strukturwandels seit mehreren Generationen, a.k.a. Informationsrevolution. Welche Partei sonst hat das in ihrem Wirtschafts-, Sozial-, Sicherheitsprogramm?

4. Alles, was in der Springerpresse (“Bild”, “Welt”, “Berliner Mopo”), und ein bedrückend grosser Teil dessen, was bei SPON über die Piraten geschrieben wurde, ist Quatsch und darf ignoriert werden. Es hat keinen Sinn, hier Energie fürs Widersprechen zu verschwenden. Es ist Wahlkampf, da wird behauptet, dass sich die Balken biegen. Daneben gibt es auch verantwortlich denkende Journalisten und Verlage, die sachliche Kritik üben, darauf kann man sehr wohl Bezug nehmen.

5. Wenn man gegen die barocken Auswüchse der GEZ und die planwirtschaftlichen Leistungsschutzgeld-Phanatasien ist, muss man sich nicht wundern, wenn einen die potentiellen Profiteure einer staatlich gelenkten Medienwirtschaft nicht mögen. Trotzdem muss man die Wahrheit sagen. Auch, dass Öffentlich-rechtlicher Rundfunk eigentlich eine tolle Sache ist. Freie Presse sowieso, solange sie sich nicht wirtschaftlichen Konzerninteressen unterordnet.

6. Wie wir alle wissen, ist die parlamentarische Demokratie zwar ein Fortschritt gegenüber Monarchie und Feudalismus, erzeugt aber eigene Probleme. Konkret das doppelte Stimmgewicht für die Neocons (Erststimme CDU, Zweitstimme FDP, die ohne Leihstimmen verschwunden wäre), allgemein die Angreifbarkeit der gewählten Entscheidungsträger durch Korruption und Begünstigung. Nachdem wir schon wissen, dass Demokratie strukturell weiterentwickelt werden muss, dürfen wir unsere Experimente damit auch nicht einstellen. Auch nicht die geradezu schmerzhaft freie Meinungsäusserung auf Twitter. Selbst wenn uns sehr viele deswegen für “unprofessionell” halten – eine Beibehaltung der parlamentarischen Korruption kommt nicht in Frage. Da müssen wir also durch.

7. Man darf gespannt sein, ob wir die Leihstimmen für Rot und Grün zur Landtagswahl in Niedersachsen jemals wieder zurückbekommen. Am Ende müssen wir uns auch darum wieder mal selber kümmern.

foto Mirari Erdoiza cy by nc, Gemälde Michail Konstantinowitsch Clodt von Jürgensburg