Die Diskussion über die Zukunft der EU und noch mehr über die Zukunft der Währungsgemeinschaft wird zumindest seit beginn der Krise geführt. Allerdings verlaufen die Linien in dieser Diskussion bisher im Wesentlichen zwischen der Verteidigung nationaler Souveränität und der engeren Kooperation souveräner Nationalstaaten. Die wenigen Stimmen, die eine dritte Option befürworten verstecken sich hinter Nebelwörtern wie Wirtschafts- oder Finanzregierung.
Außer denen, die den Nationalstaat retten wollen, führt keiner das Argument, dass es längst um die Frage geht, ob wir in einer Demokratie leben wollen oder nicht. Ich halte es für mehr als problematisch den Nationalstaatlern, unter denen auch schlichte Nationalisten sind, die Sorge um die Demokratie zu überlassen. Eine Debatte, die im Wesendlichen von nationalstaatlichen Demokraten und solidarischen Technokraten bestimmt wird, kann unserem Kontinent und dem Westen als solchem nicht gut tun.
Ein kurzer Abriss des Problems: der europäische Rat setzt sich themenbezogen aus den entsprechenden Fachministern oder den Regierungschefs zusammen. Dieser Rat bestimmt im Wesentlichen EU-Gesetze, ob als direkt geltende Verordnungen oder umzusetzende Richtlinien. Damit bestimmen die Exekutiven der Nationalstaaten die europäische Gesetzgebung, übernehmen also eine Rolle, die ihnen unter Gewaltenteilungsgesichtspunkten niemals zustehen sollte. Oder um es prägnant zu fassen: soweit sich die europäischen Regierung einig sind, können sie an den Parlamenten vorbei Gesetze machen.
Dieser Bruch der Gewaltenteilung verschärfte sich weiter in der Bewältigung der Krise. Nationale Parlamente hatten keine Möglichkeit gestaltend auf die Rettungsmaßnahmen einzuwirken. Sie hätten sich allenfalls einer schon gefundenen Lösung verweigern können. Um die europäischen Hilfen nicht zu gefährden, mussten sie also faktisch alles schlucken, was die Regierungen ihnen vorsetzen.
Das europäische Parlament, strukturell nicht mehr als Feigenblatt europäischer Demokratie, war ebenfalls nicht entscheidend an den großen fiskalischen Entscheidungen der letzten Zeit beteiligt. Darüber hinaus sind Bürger bevölkerungsreicher Staaten dermaßen unterrepräsentiert, dass man kaum von einer realen Abbildung eines gesamteuropäischen Willens in diesem Parlament sprechen kann.
Und trotzdem ist der Wille den Währungsraum mit aller Kraft erhalten zu wollen richtig. Neben den unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen eines Auseinanderbrechens, deren Ausmaß ich nicht beurteilen kann, wäre es ein Zeichen europäischer Handlungsunfähigkeit, das über Jahrzehnte Europa auch als Stimme der Freiheit in der Welt verstummen lassen würde.
Aber keiner sollte sich der selben Illusion hingeben, die mit dem Begriff der “blühenden Landschaften” verbunden war. Europa als einen Wirtschafts- und Währungsraum zu erhalten wird ein langes, mühsames und teures Unterfangen. Niemand sollte glauben, dass Rettungspakete – egal welcher Höhe – den europäischen Wirtschafts- und Währungsraum stabilisieren könnten. Es mag eine unbequeme Wahrheit sein, aber der Aufbau von Infrastruktur und die Angleichung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit rechnet man in Dekaden.
Wenn wir aber wissen, dass wir für dieses Projekt langfristige europäische Umverteilung brauchen, muss man die Frage stellen, in welchem politischen System wir in dieser Zeit leben wollen. Sollten wir Europäer das Modell nominell souveräner Nationalstaat beibehalten, das wir zur Zeit haben, wird das oben beschrieben Demokratiedefizit mit jedem Euro, der der Kontrolle der Parlamente entzogen wird anwachsen. Die Demokratiekrise Europas, in der wir längst leben, würde sich verstetigen und die Gefahr des gewaltsamen Endes der europäischen Projekts würde wachsen.
Wenn wir also weder die europäische Einigung opfern, noch die Demokratie aufgeben wollen, müssten wir nationale Souveränitäten aufgeben und einen europäischen Bundesstaat gründen. Einen Staat in dem ein von allen gleichberechtigt gewähltes Parlament und eine demokratisch legitimierte Regierung existieren. Einen Staat in dem jeder Bürger seinen Parlamentarier für das verantwortlich halten kann, was passiert, ohne dass dieser sich hinter europäischen Zwängen verstecken kann. Wer europäische Einheit in Freiheit will, muss sich von nationalstaatlicher Souveränität verabschieden wollen.
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