Ein zentrales Problem unserer parlamentarischen Demokratie ist, dass durch Gesetze zwar die Parteien als Instrumente der politischen Willensbildung installiert werden, nicht aber das Wie. Und prompt ist die politische Willensbildung innerhalb von Parteien weder durchsichtig (“transparent”) noch demokratisch.
Bürger können sich mit ihren Anliegen zwar an einzelne, geeignet erscheinende Parteien wenden, müssen aber davon ausgehen, dass im Zweifelsfall der machtpolitische Konkurrenzkampf der Parteien untereinander wichtiger für diese ist als die Interessen einzelner Bürger. Falls sich aber dennoch innerhalb von Parteien progressive Interessengruppen zusammenfinden, die werteorientiert denken und den Gedanken an gesellschaftlichen Fortschritt nicht zugunsten des Machterhalts aufgeben möchten, erleben diese Gruppen zwangsläufig anhaltende Frustration.
Das betrifft so gut wie alle Jugendorganisationen der etablierten Parteien, die zwar noch Reste guten Willens an ihrer jugendlichen Unbedarftheit kleben haben, damit aber zuverlässig nirgendwohin kommen, und im Gegenteil noch erleben müssen, dass ihre Jugendlichkeit und Werteorientiertheit als Marketinginstrumente und letztlich zur Durchsetzung von politischen Zielen dienen, die nicht ihre eigenen sind. Genau diese Schwäche der parlamentarischen Demokratie führt dazu, dass immer neue Parteien entstehen, um die Hoffnung auf gesellschaftliche Weiterentwicklung nicht ein für allemal begraben zu müssen. Die Piratenpartei ist das aktuelle Beispiel dafür: Hier werden Ideale propagiert, wie man sie das eine oder andere mal durchaus schon von Vertretern anderer Parteien hören konnte – dort allerdings konnten sich diese Vorstellungen aus den bekannten Gründen dort nicht durchsetzen.
Was muss also ein Vertreter des fortschrittlichen, nicht rein auf Machtpolitik konzentrierten Flügels fühlen, wenn er trotz seiner jahrelangen und folgenlosen Bemühungen von einer neuen Partei überholt wird (subjektiv gesehen), die alle Lorbeeren dafür erntet, wofür er selbst jahrelang mehr oder weniger verbissen gekämpft hat? Und sich durch die blosse Existenz der Piraten auch noch in den komplementären Status des nicht-progressiven Teils der Gesellschaft gedrängt fühlt? Enttäuschung, Neid, Hass? Ich beobachte dieses Phänomen schon länger, vor allem bei den Grünen, die sich ja bisher als progressive Kraft verstanden haben (es aber nicht mehr sind, sondern statt dessen dem neuen bürgerlichen Lager zugerechnet werden müssen), aber auch beim linken Flügel der SPD (vor allem den Jusos) und selbst vereinzelten Freischwimmern aus der gerade untergehenden FDP; bei der Linken kommt es ebenfalls zu solchen Missverständnissen, allerdings eher zeitlich begrenzt..
Der Backlash in den Systemmedien nach dem Berlin-Hype von September 2011 (verstärkt durch die folgenden Landtagswahlerfolge) gegen die Piraten ist also nicht nur eine reine Verteidigungskampagne für das Leistungsschutzrecht (übrigens eine blosse Machtdemonstration der Systemverlage ohne jeden finanziellen Wert), sondern eben auch eine Woge des Neids und der Enttäuschung aus den Reihen der Publizisten selbst. Wie löst man dieses beiden Probleme? Das Leistungsschutzrecht wird sich von selbst erledigen, einfach an der rauen Realität zerschellen wie schon zuvor in Belgien und Frankreich. Die missgelaunten Text- und Politikschaffenden dagegen müssen spätestens jetzt eine weitere Phase des Erwachsenwerdens durchlaufen, zugeben, dass sie ihre Ideale von Revolution und Wertewandel der persönlichen wirtschaftlichen Stabilität geopfert haben, und ihre verbleibenden Handlungsoptionen zugunsten einer gesellschaftlichen Weiterentwicklung neu bewerten. Statt einfach missgelaunt auf Leute zu reagieren, die ihren Beitrag zur gesellschaftlichen Veränderung durch weniger Kompromisse belasten als sie selbst.
Fazit: Die Situation ist wie sie ist, man kann die Piraten nicht mehr wegreden, weil sie ein echtes, drängendes, allgemeines Bedürfnis erfüllen (das nach Hoffnung auf Veränderung und Verbesserung), und alle Beteiligten müssen eben damit klarkommen. Pech. Nichts zu machen. Viel Glück uns allen.
das pic is natürlich aus monkey island