Gesetzliche Hilflosigkeit: Fachtag Sucht im Bezirkstag Schwaben

Am Donnerstag, 20.11.14, hielt der Bezirkstag Schwaben im grossen Sitzungssal im siebten Stock des Bezirkstagsskycrapers einen Fachtag zum Thema Sucht ab. Warum? Weil (wie schon erwähnt) Frederik und ich seit über einem Jahr mit wechselnden Anträgen zum Thema Drogenkonsumräume für Handlungsbedarf sorgten, und der schliesslich im Juli mit einem Schnellantrag der SPD als Fachtag verwirklicht wurde. Ok, dann erst der, und weitere Diskussionen und Anträge in Folge.

Auch hier kann ich euch sagen, dass ich regelrecht glücklich darüber bin, das Grundsatzprogramm meiner Piratenpartei umsetzen zu können. Und wenn es nur in kleinen Schritten ist. Die führen ja auch zum Ziel.

In medias…. Sieben geladene Experten referierten in angenehmer Kürze und Dichte zu ihren jeweiligen Fachgebieten. Der Herr von der Kriminalpolizei (über ihre Hilflosigkeit gegen über immer neuen und damit noch nicht verbotenen Designerdrogen), der Oberarzt aus der Psychiatrie (mit massiv zunehmenden Schwierigkeiten mit den Psychosen, die durch diese neuen Drogen ausgelöst werden), die Fachberatung des Bezirks (und das Problem, Aufklärung nicht an die Zielgruppe kommunizieren zu können), die Moderatorin aus dem Bezirketag (der sich gerade auf den langen, dornigen, von der bayrischen Staatsregierung sabotierten Weg zu einem Modellversuchs-Drogenkonsumraum in Nürnberg gemacht hat), der Leiter der örtlichen Drogenhilfe (der zwar genau weiss, wo die Probleme sind, aber nur eingeschränkt Hilfe leisten kann, weil ihm das Gesetz grimmig über die Schulter sieht), die Vertreterin der Wohlfahrtsverbände (die ganz richtig vor allem Alkohol als Problem sieht), der Vertreter der Alkoholiker-Selbsthilfe Kreuzbund (der im Gegensatz zur Drogenhilfe ganz ungehindert arbeiten kann). Die Vorträge werden in naher Zukunft vom Bezirkstag schriftlich veröffentlicht, ich werde dann darauf verlinken.

Dann Pause. Kaffee (Volksdroge Nummer Eins?), Schnittchen. Zweiter Teil: Podiumsdiskussion. Auffallend ist der hohe Anteil an Sozialmitarbeitern im Zuhörerraum. Und ihre dringenden Fragen: Woher bekommen wir Substitutions-Ärzte für den ländlichen Raum, um Drogenabhängige zu behandeln? Wie sollen wir mit Medikamentensucht in Altersheimen umgehen? Alles Fragen, die auf dasselbe Problem zeigen: Man kann Drogenabhängige nicht ungehindert behandeln, weil das alles ja kriminalisiert ist und sich bestenfalls in einer geduldeten Grauzone bewegt.

Ja, Freddy brachte unseren Antrag auf Unterstützung und Einrichtung von Drogenkonsumräumen in Grossstädten in die Diskussion, was von Fachseite begrüsst wurde. Ja, ich habe erstens laut und deutlich „Piratenpartei“ gesagt und zweitens als leuchtendes Beispiel die stark zurückgehende Zahl von Drogentoten und jugendlichen Erstnutzern in Portugal angeführt, wo De-Kriminalisierung eben Therapie für alle ermöglicht. Die Legalisierungsdiskussion wurde von der Moderatorin allerdings (mit meiner genickten Zustimmung) gestoppt, „weil wir in Schwaben ja hier nichts tun können, das ist ein Bundesthema“. Ja, ist es, aber wir können darüber auch ein andermal reden, für diesen Tag hatte ich bereits mit dem Diskussionsbeitrag mein Ziel – Öffentlichkeit – erreicht. Und die Zustimmung von Expertenseite (Drogenhilfe), wo man Entkriminalisierung als wichtigen Schritt sieht.

Nach drei Stunden waren alle ziemlich entkräftet. Im Fazit des eröffnenden und schliessenden Präsidenten klangen die offen gebliebenen Fragen noch einmal auf. Der ganze Saal war buchstäblich mit Leuten gefüllt, die helfen wollen und nicht können. Weil die Gesetze das behindern.

Ich hab mich von den Referenten und Podiumsteilnehmern einzeln verabschiedet. Highlights: Dem Herrn von der Kriminalpolizei versicherte ich, ich könne verstehen, dass er sich an die Gesetze halten müsse, allerdings hielte ich das BtmG für falsch und streichungswürdig. Interessant seine ruhig vorgetragenen Gegenargumente von „Wenn Drogen nicht gefährlich wären, wären sie ja auch nicht verboten“ bis „In Colorado ist der Marktpreis von Cannabis nach Legalisierung auf das Doppelte gestiegen, die Zeche zahlt eben immer der Konsument“ (Killerargument! Wir verbieten Cannabis, damit es billig bleibt?) und der Drogenhilfeleiter, der sich sehr herzlich für Freddys und meinen Beitrag bedankte – wir treffen uns demnächst mal und besprechen Drogenhilfe und Drogenpolitik in der Praxis.

Die Veranstaltung war aus meiner Sicht ein klarer Erfolg. Warum? Weil sie gezeigt hat, dass Kranke nicht behandelt werden können, wenn ihre Krankheit kriminalisiert ist. Und dass wir dringend etwas ändern müssen. Grundlegend. Eben das BtmG abschaffen. Mein nächster Schritt auf dem Weg dorthin: Weitere Anträge im Bezirkstag, mehr Öffentlichkeit für das gesamtgesellschaftliche Problem.

Ich werde nicht aufgeben. Ich ertrage diese Ungerechtigkeit nicht.

Pic: Frederik Hintermayr

Kultur im 19. Jahrhundert (und früher)

Die gestrige Kulturausschussitzung war, so stöhnten die alten Hasen anschliessend, die längste Sitzung in der Geschichte des Bezirkstags Schwaben. Nein, ich fühle mich nicht schuldig. Ich war’s nicht alleine. In den fünfeinhalb Stunden jedenfalls wurde mehr diskutiert als je zuvor, neben dem Tagesgeschäft – also den Berichten der Verwaltung – stellte der Kämmerer (Finanzchef) den Haushaltsentwurf vor, dazu kam der zeitlich ausgedehnteste Teil: Der Antrag der CSU-Fraktion auf Neuausrichtung der Kulturförderung. Hier ist die offizielle Pressemeldung.

Worum geht es dabei? Kulturformen des 19. Jahrhunderts und (vor allem) ihre Vertreter besser zu fördern. Also mehr Geldmittel für historische Vereine, Denkmalschutz, Trachtenanschaffungen (mit einem begrenzten first-come-first-serve Budget), alles Dinge, bei welchem ich natürlich im Leben nicht auf den Gedanken kommen würde, dass hier exklusiv die Hauptwählerklientel der CSU bedient wird. Damit die betreffenden Räte nachher sagen können: Hier haben wir für euch flotte 100.000 Euro (soviel war das nämlich) zusätzlich erkämpft, obwohl der Haushalt 2015 bereits mehrere Millionen im Minus hängt und wir deswegen wohl neue Kredite aufnehmen müssen.

Nein, das wäre ja sowas wie das Verpulvern von öffentlichen Steuermitteln, nur damit man nächstes Mal in seiner hood wiedergewählt wird. Ein kleiner Schritt für einen Bezirksrat, aber ein grosser Schritt in Richtung Selbstbedienungsladen? Das hässliche Wort für eine solche Mentalität ist übrigens Korruption. Aber nein, ich würde niemals auch nur ansatzweise auf die Idee kommen, dass meine netten Kollegen… ausser dass es seit Jahrzehnten in unserem Land so läuft. Und warum? Weil die Wähler das so wollen. Wir (das Volk) haben eben vier Kulturausschussmitglieder der CSU und je einen der SPD, Freien Wähler, ÖDP (für Grün+Ödp) und Piraten (für Linke+Piraten) gewählt, während 40% erst gar nicht an der Wahlurne erschienen sind im September 13. Also beschwert euch nicht.

Warum aber, fragt sich bestimmt die eine oder der andere unter euch, hat dann der Bezirkstag meinem Stopp-TTIP (usw) Antrag zugestimmt? Weil’s nichts kostet. Die wirklich grossen Summen werden allerdings erst am nächsten Donnerstag in der Sozialausschussitzung verteilt. Dort werden dann munter Millionen von öffentlichen auf kirchliche Konten verschoben, alles natürlich um armen, behinderten oder benachteiligten Menschen zu helfen, die dann in kirchlichen statt öffentlichen Heimen untergebracht sind. Auch hier könnte ich mir nie vorstellen, dass öffentliche Mittel dazu verwendet werden, um sich das politisch wichtige Wohlwollen der grossen Kirchen zu erkaufen. Ausser, dass es seit der Säkularisierung 1805 so läuft. Die Reconquista ist auch in Schwaben in vollem Gang.

Um diese nächste Sozial- und Psychiatrieausschusssitzung zu besprechen, werde ich mich heute noch mit meinem Fraktionsgemeinschaftskollegen Frederik von der Linkspartei treffen, so wie wir uns im letzten Monat schon mal getroffen haben, um die jetzt anstehende heisse Abstimmungssituation zu diskutieren, und kürzlich eine gemeinsame interfraktionelle Sitzung mit VertreterInnen von Grün und Ödp hatten. Im Augsburger Büro der Linken (Verschwörungstheoretiker aufgepasst).

Ich geh dann mal wieder an die Arbeit, den Haushaltsentwurf (ca. 1,5 kg) für 2015 durchsehen.

Fachtag Sucht im Bezirkstag Schwaben

Der Bezirk Schwaben veranstaltet am Donnerstag 20.11.2014 von 13:00 bis ca 16:30 einen Fachtag Sucht mit Podiumsdiskussion zum Thema „Suchtmittel sind Realität – aktuelle
Situation und Hilfsangebote“. Hier ist der Flyer zum Download.

Anmeldung bis zum 15.11.:
per Post an:
Bezirk Schwaben
Kompetenzzentrum schwäbische Sozialpsychiatrie
z. Hd. Herrn Monzer
Hafnerberg 10, 86152 Augsburg
per E-Mail: sozialforum@bezirk-schwaben.de
per Fax möglich: 0821 3101-1259

Weil die Entkriminalisierung, Legalisierung und Freigabe von Drogen sowohl für Freddy als auch für mich im Parteiprogramm stehen und darüberhinaus unserer persönlichen Überzeugung entspricht, setzten wir uns seit einem Jahr für eine Position zugunsten von Drogenkonsumräumen ein; der Fachtag im November ist ein erstes Ergebnis unserer Anstrengungen. Wir werden aber weiter am Thema bleiben; die Kriminalisierung von Drogen führt zu Leid und Elend in Tausenden von Einzelfällen, und zur Querfinanzierung des organisierten Verbrechens. Das müssen wir ändern.

Über den Dächern von Augsburg Freihandelsverträge stoppen

IMG_0037

Bei der heutigen Sitzung des Bezirkstags Schwaben wurde unser Positionsantrag gegen TTIP, CETA und TISA einstimmig angenommen. Also mit den Stimmen von Piraten, Linken, ÖDP, Grünen, Freien Wählern, FDP, Bayernpartei, SPD und CSU. Wie geht sowas? Warum stimmen die auf einmal alle für einen Piraten-und-Linken-Antrag? Sicher nicht, weil sie mich so nett finden.

Ich denke, das erfreuliche Ergebnis hat mehrere Gründe. Zunächstmal: Ich hab den Antrag zwar vor 2 Wochen gestellt, aber bereits vor 4 Monaten angefangen, sachlich begründete Warnungen vor TISA (wovon zu diesem Zeitpunkt noch niemand im Bezirkstag was gehört hatte) zu verbreiten. Mehrfach. Und, nachdem die Sachlage zur Prüfung an die Verwaltung weitergegeben wurde (die haben da kompetente Leute mit Erfahrung bei der EU) mit dieser weiter kommuniziert. Und am Mittwoch vergangener Woche mit der grünen Kollegin im Morgengrauen nach Salgen im Unter-Allgäu gefahren, weil im dortigen Fischereihof des Bezirks (eine tolle Anlage übrigens, mit Leuten, die richtig gute Arbeit machen) die Fraktionsvorsitzendenbesprechung mit anschliessendem Bezirksausschuss stattfand (letzterem wohnte ich als Gast bei).

Zu diesem Zeitpunkt hatte allerdings der Gemeindetag den Freihandelsabkommen bereits sein Misstrauen ausgesprochen, zusammen mit dem Städtetag, dem Landkreistag und dem Dachverband der Kommunalunternehmen. Hier war es für die CSU problemlos, auf die bewährte Doppelstrategie einzuschwenken, nämlich in verschiedenen Teilen der Partei oder des Landes verschiedene Standpunkte zu vertreten. Auf der mittleren Ebene der Bezirke freihandelskritisch aufzutreten, kostet nichts und kann im Fall eines Scheiterns der Verhandlungen (wovon ich inzwischen ausgehe) als Position des Volkes für sich in Anspruch genommen werden. Deshalb gab es schon im Bezirkssausschuss das klare Signal: Ja, das machen wir. Und zwar jetzt sofort, weil ich ausführlich darauf hingewiesen hatte, dass CETA vor der Tür steht (Ich sage nicht, dass dies der einzige Grund für die CSU war, dem Antrag zuzustimmen).

Entsprechend verlief die Diskussion im Rat dazu: Die CSU wollte sich gar nicht mit der Frage aufhalten, ob man als Bezirkstag zuständig sei, sondern den Antrag annehmen, um die Bedenken der Bevölkerung zu reflektieren. Die SPD verwies darauf, dass Bezirke doch gar nicht so wichtig seien, und dass man das doch den Bundesministerien überlassen solle (Dem dicken Gabriel? Erst wenn die Hölle zufriert.) Die freien Wähler vertraten den Standpunkt, die Verträge würden so oder so kommen und enthielten ja auch irgendwie gute Teile, und dass man unsere Formulierung, „der Bezirkstag Schwaben fordert… die Verhandlungen … auszusetzen“ abschwächen wolle. Wollte aber sonst niemand. Selbst die ansonsten eher stille Bayernpartei verwies energisch auf einen mahnenden Artikel von Heribert Prantl in der Süddeutschen. Bei der Abstimmung selbst war dann alles klar: Die Mini-Opposition und die CSU-geführte Mehrheit waren sich ausnahmsweise völlig einig.

Den flankierenden Antrag der Grünen und ÖDP, die Verwaltung möge prüfen, was die Freihandelsabkommen alles Schlimmes anrichten würden, verwies man nach kurzer Diskussion einvernehmlich an den Bezirketag, als die nächsthöhere Ebene. Also müssen sich die anderen 6 bayrischen Bezirke auch mit der Frage beschäftigen.

Was wir noch beschlossen haben: Ja, wir mögen das Licca Liber-Projekt des Wasserwirtschaftsamts, das eine lange Strecke des Lech oberhalb von Augsburg renaturieren möchte. Und unterstützen es durch unsere bezirkseigene Fischereifachberatungsstelle (die in Salgen, siehe oben). Das ist zwar nicht der Wortlaut meines Antrags, aber inhaltlich deckungsgleich. Einverstanden. Das Projekt ist durchaus ein Politikum im Bayern, und zuviele angenommene Piraten-und-Linken-Anträge kann man pro Sitzung wohl auch nicht erwarten.

Dann noch eine Stunde Verwaltungsdinge und ab nach Hause. Klar isses schön, wenn ein Plan funktioniert. Aber es ist halt auch ein ziemlicher Aufwand. Aber was solls. So geht Meinungsbildung. Eigentlich völlig super, dass ich da mitmachen kann. Für die Piraten.

Vor der hier berichteten Bezirkstagssitzung hatte ich gestern abend eine interfraktionelle Besprechung, Piraten, Linke, Grüne, ÖDP im Linkenbüro am Augsburger Hafnerberg, am 15.10. die erwähnte Fraktionsvorsitzendenbesprechung und Bezirkssausschuss und einen Tag davor die fraktionsgemeinschafts-interne Besprechung mit Freddy, in der wir das Vorgehen der nächsten Monate diskutiert haben.

Das Pic ist von mir, cc by, und zeigt das Präsidium des Bezirkstags (incl. Abteilungsleiter der Verwaltung) und dahinter die Aussicht über Augsburg aus dem siebten Stock des Bezirks-Skyscrapers am Hafnerberg.