Warum § 166 StGB angesichts des religiösen Wütens abgeschafft werden muss

In Nordafrika und anderswo rotten sich Männer zu Lynchmobs zusammen. Sie richten ihre kollektive Gewalt erneut gegen Einrichtungen und Symbole der Vereinigten Staaten und überschreiten mühelos die Schwelle zum Mord. Als Grund für ihre Gewaltekstase wird die Beleidigung ihres Religionsstifters und die mangelnde Strafverfolgung dieser Beleidigung in den Vereinigten Staaten angegeben.

Tatsächlich richtet sich ihre Gewalt aber nicht gegen einen spezifischen Staat und hat ihren Grund auch nicht in dem Video. Der Angriff richtet sich gegen den Westen als solchen und gegen die Meinungsfreiheit im Besonderen. Die Ermordeten waren den Mördern Projektionsfläche eines umfassenden Hasses auf alles, was sie als Religionskollektiv herabwürdigen könnte. Der tiefere Motor der mörderischen Gewalt ist der Hass auf jede Form von Individualität, die das Fundament westlicher Zivilisation ist. Wer immer die Individualität für sich beansprucht, sollte sich nicht darüber täuschen lassen, dass auch er bei diesen Morden gemeint ist.

Führt man sich vor Augen, welche Wucht kollektiver Gewalt gegen die Mauern der US-Botschaften brandet, so ist es kaum vorstellbar unter welcher Angst dort Menschen leben, die Individualität für sich beanspruchen wollen oder müssen. Es sind diese Menschen, Frauen, die ein selbstbestimmtes Leben außerhalb religiöser Gebote führen wollen, Menschen, deren Sexualität von der Mehrheit abweicht, Künstler und Denker, deren Gedanken und Werke die Jahrhunderte ausgetretenen Pfade verlassen wollen, denen der Westen etwas schuldet – zumindest die Hoffnung auf eine lebendige offene Gesellschaft.

Man kann froh sein, dass der Film in den Vereinigten Staaten und nicht in Deutschland gedreht wurde. Hierzulande würde dem Wunsch nach Bestrafung des Videomachers entsprochen werden. Sicherlich nicht so, wie es sich der Lynchmob erhoffen würde, aber das Signal wäre dennoch verheerend. § 166 StGB nennt die Geeignetheit zur Störung des öffentlichen Friedens als Tatbestandsvoraussetzung. Es wird also nicht (nur) der bestraft, der direkt den öffentlichen Frieden stört, sondern der, gegen den sich die Störung richtet. Das Signal, dass diese Vorschrift sendet, ist, dass die deutsche Rechtsordnung ein gewisses Verständnis für religiöse Wut und kollektive Empörung aufbringt, dass Deutschland religiös fundiertes Ressentiment zumindest mit berücksichtigt, sei es aus Angst oder Überzeugung.

Wenn wir aber den Menschen, die durch die Angst vor den religiösen Lynchmobs unterdrückt werden, ein Zeichen der Hoffnung geben wollen, sollten wir diese Vorschrift fallen lassen. So können wir jede Zweideutigkeit hinter uns lassen; jeden Verdacht zerstreuen, dass es der Westen nicht ganz so erst mit Individualität und Meinungsfreiheit meinen würde. So könnte man zumindest demonstrieren, dass religiöser Mob keinen Hauch von Verständnis zu erwarten hat. Es wäre die richtige Zeit, diese überflüssige Vorschrift zu streichen. Es wäre zumindest das richtige Symbol.