Nach dem Berlin-Coup der Piraten suchen die bürgerlichen Kräfte in unserem Land angesichts ihrer subjektiven Bedrohungslage natürlich nach Haaren in der Suppe. Hm. Schwierig. Das ist ja alles so positiv und werteorientiert, was diese Piraten so sagen. Aber zum Glück kann man sich auf die ansonsten gern vernachlässigte politische Korrektheit besinnen und auf das schreckliche Missverhältnis von 14 Typen und einer Frau in der aktuellen Berliner Piratenfraktion zeigen, und mit diesem Beispiel enthüllt man dann (schwupps) die latente Frauenfeindlichkeit der Piraten. Ahh, welche Wohltat für die gequälte Bürgerseele! Nun muss man erstens entgegenhalten „cum hoc ergo propter hoc“, also „ein Beispiel ist kein Beweis“, und zweitens, dass die ganze Diskussion auf falscher Grundlage geführt wird.
Ich bedanke mich an dieser Stelle für den Diskussionsbeitrag von Pirat(in) Müslikind (Klarname ist der Redaktion bekannt) mit dem Titel „Ich will aber!“. Ich empfehle dem Leser meines Beitrags, erst einmal Müslikinds Text zu lesen und dann hier weiter zu machen.
Mein Problem mit Müslikinds Standpunkt (der stellvertretend für den vieler Leute ist): Sie befürchtet, dass deswegen so wenige Frauen den Piraten beitreten, weil diese sich überwiegend mit Männerthemen und einer Männerkultur befassen, und zweitens überhaupt nur das Internet im Kopf haben. Das ist natürlich beides nicht richtig. Die Piraten sind vom Erstansatz her eine Bürgerrechtspartei, die besondere Betonung des Internet (und angrenzender Technologien) und die besondere Wahrnehmung dieser Betonung durch die Medien rührt daher, dass sich sämtliche Altparteien einen feuchten darum kümmern. Mal ganz einfach formuliert. Irgendjemand muss eben auf das digitale Postgeheimnis, nicht-rechtsstaatliche Datensammelwut und eine anhaltende Erosion unserer Rechte (Beispiel Immaterialgüter) achten.
Aus dieser öffentlichen Wahrnehmung (Klischee: die sitzen doch nur den ganzen Tag vor dem Computer) und der noch lange nicht verwirklichten Emanzipation in unserem Land resultiert das Bild einer von Männern geprägten Partei. Der Fehler? Computer sind gar nicht wirklich Männersache. Bürgerrechte auch nicht. Und auch nicht uneingeschränkt freie Bildung, Und das Recht auf wirtschaftliche Teilhabe. Das sind alles weder Männer- noch Frauenthemen, sondern Menschenthemen.
Was die Piraten also tatsächlich leisten müssen, ist nicht etwa mehr Tierschutz, Kinderpflege oder Pastellfarben ins Parteiprogramm zu integrieren. Das wäre nämlich eine Kapitulation vor einem sexistischen Weltbild, in dem Männer eben ölverschmiert und nach Bier riechend unter ihrem Computer liegen, um dort mit Muskelkraft die QuadCore-Hinterachsen-Aufhängung nachzuziehen, während sich Frauen um die Kinder kümmern und ansonsten gemeinsam bedauern, dass sie von den Männern nicht verstanden werden.
Statt dessen erkläre ich immer wieder weiblichen Mitbürgern, dass die Piraten solchen Genderquatsch erst gar nicht anfassen, sondern einen weiten Entfaltungsraum für alle progressiven Themen bereitstellen. Und dass sie bitte beitreten und/oder mitmachen sollen, was immer mehr meiner Bekannten/Freundinnen/Acquaintances auch tun. Weil sie ja verstehen, dass Nerds tatsächlich eine Post-Gender-Einstellung haben. Und damit sehr präzise unterscheiden, zwischen möglicher erotischer Spannung einerseits und allem anderen andererseits. Im Bereich „alles andere“ nämlich gibt es so gut wie keine Unterschiede zwischen Männern, Frauen oder sonstwie orientierten. Einfacher: Vor dem Computer sind alle gleich. Vor dem Bürgerrecht auch, vor der Bildung, vor der sozialen Frage.
Meine Antwort auf Müslikinds anerkennenswerten Diskussionsbeitrag ist: Nein, wir Piraten müssen nicht Themen finden, die alle Bevölkerungsteile und -milieus einbinden, sondern weiter die progressive Kraft bleiben. Dass uns eben deswegen Genderverbrechen (als ebenfalls virtuelle Fortsetzung des Raubvölkermordkopierertums) vorgeworfen worden, ist nicht etwa schrecklich, sondern liegt in der Natur der Sache. Wenn uns Leute, die eine Emanzipation nicht aktiv verwirklicht haben, sondern statt dessen Quoten einführen, Frauenfeindlichkeit vorwerfen, sollten wir uns geschmeichelt fühlen. Weil wir dann wissen, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Müslikind schreibt sehr schön von einem Biotop der Piraten, und von einer noch zu findenden Biotop-Exit-Strategie. Nein: Das Biotop der Piraten ist die Zukunft. Und eine Exit-Strategie dafür brauchen wir nicht. Im Gegenteil.
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