Ist es nicht eine komplett blöde Idee, dass die Piraten “Piraten” heissen, wie hier und anderswo wieder und wieder diskutiert wird? Nein, ist es nicht. Ich erklär das mal:
Der Begriff “Piraten” stammt, wie wir alle wissen, aus einem eher lustigen, bizarren und wenig folgenbehafteten Bereich, nämlich den unablässigen Rechteerweiterungskampagnen der Verlags- und Medienvertriebsindustrie. Diese prägte in völlig skrupelbefreiten Lobbyfeldzügen den Begriff, um damit Leute zu (Read more…) die irgendetwas harmloses, normales, seit Generationen so ausgeübtes tun, mit dem die oben erwähnte Industrie aber möglicherweise doch irgendwann irgendwie Geld verdienen könnte: “Hometaping is killing music”.
Private Kopie und Weitergabe, ein Verbrechen, so ähnlich wie Raub, oder eben Piraterie auf hoher See. Eine völlig überzogene, mondsüchtige Vorstellung. Ohne jede faktische Grundlage, wie wir wissen. Nur: Mit den Mitteln des Lobbyismus (a.k.a. Korruption) lassen sich solche Ideen langsam und auf Kosten aller anderen Beteiligten (Kreative und Konsumenten) durchsetzen.
Schön und gut, wir wissen natürlich, dass die Technik immer einen Schritt weiter sein wird: Wenn es kein P2P-Filesharing mehr gibt, gibt es Sharehoster (Cyberlocker), wenn es die nicht mehr gibt, benutzen wir Dropbox und Google Docs, wenn das nicht läuft, machen wir eben was anderes. Keiner hält uns auf, wie schön, aber das ist leider überhaupt nicht der Punkt. Der Spass hat nämlich schon lange aufgehört. Es geht nicht mehr um Lady-Gaga-Mashups und verwackelte Camcorder-Releases, sondern darum, dass sich Teile der weltweiten Wirtschaft seit einigen Jahren umstellen (die USA hier ganz vorne) von “wir produzieren Dinge und verkaufen sie” auf “wir erheben Ansprüche auf irgend etwas”. Und alle, die ihren Ansprüchen nicht nachgeben, seien diese nun gesetzlich abgesichert oder nicht, bezeichnen sie als Piraten. Räuber. Verbrecher. Und geben sich beachtliche Mühe, diese Position zu einer öffentlichen zu machen. Der Vorgang der “Inanspruchnahme” durchdringt aber unsere gesamte Gesellschaft, nicht nur die paar verbliebenen Plattenläden. In deren Augen sind alle Leute Piraten, die nicht für alles Erdenkliche bezahlen wollen. In allen Bereichen.
Und genau deshalb ist “Piratenpartei” ein guter Name. Weil er ausdrückt, dass diese Geisteshaltung des Beanspruchens von sogenanntem (fiktivem) geistigen Eigentum (und das ist ja irgendwie alles, wenn man kurz nachdenkt) in allen Bereichen bekämpft werden muss. Weil wir die Leute sind, die “Nein” sagen. Und zwar ohne Kompromisse.
Wir müssen uns mit dem Gedanken vertraut machen, dass die digitale Gegenwart völlig andere Herausforderungen stellt als jede Vergangenheit, von der wir wissen. Wir können die Uhr nicht zurückdrehen. Wir können nicht alle aufs Land ziehen und ökologisch glücklich werden. Wir können auch nicht die Schlote wieder zum Rauchen bringen und in den Stahlwerken einer verlorenen Epoche Arbeit und Brot finden. Das ist alles vorbei. Wir leben nicht mehr in der Industrie- und schon lange nicht mehr in der Agrarzeit. Wir leben in der Informationszeit und müssen Arbeit, Produktion, Zusammenleben neu definieren, wenn wir nicht einer unerträglichen Dystopie entgegentreiben wollen.
Ich selbst habe mich über den grösseren Teil meines Lebens hinweg geweigert, mit Politik etwas zu tun haben zu wollen, weil ich sie als unausweichlich, sozusagen systemimmanent schmutzig empfunden habe. Letztendlich habe ich diesen Widerstand aber aufgegeben, weil ich zugeben musste, dass ich sehr wohl in der Lage bin, zu einer Verbesserung der Verhältnisse beizutragen, und dass ich eben deswegen die Verantwortung annehmen muss, das auch zu tun. Zusammen mit allen anderen, die das auch tun wollen: Yarr!
pic: blackbeard